Mittwoch, November 02, 2005

Der Pfisterer

Daniel Pfisterer

Über das Buch

Durch glückliche Umstände gelangte das zwischen den Jahren 1716 und 1727 entstandene Buch des Daniel Pfisterer, Pfarrer in Köngen am Neckar von 1699 bis zu seinem Tode im Jahre 1728, in den Besitz der Volkskundlichen Abteilung des Württembergischen Landesmuseums. Durch Vererbung stets im Familienbesitz geblieben, war es zwar als Kostbarkeit gehütet worden. Einer interessierten Öffentlichkeit aber und – weit gravierende und folgenreicher – der Wissenschaft blieb es damit verborgen. In der Köngener Überlieferung sprach man von der “Hermannschen Chronik” – nach der Familie Hermann, in deren Obhut die Handschrift im 19. Jahrhundert verblieben war. Danach gelangte sie nach Ludwigsburg. Der Aufmerksamkeit eines in der Denkmalpflege tätigen Kunsthistorikers ist seine wissenschaftliche Entdeckung zu verdanken. Er hat es ans Württembergische Landesmuseum vermittelt, wo man bereits beim ersten Augenschein die Einmaligkeit des Stückes erkannte.

Nach dem Erwerb wurde das Buch einer sorgfältigen Restaurierung unterzogen. Eine Publikation war von Anfang an ins Auge gefaßt, mußte aber aufgrund anderer, zeitlich drängenderer Projekte wie der Eröffnung des “Museums für Volkskultur in Württemberg” im Schloß Waldenbuch aufgeschoben werden. Auch von einer Ausstellung im neuen Museum – wo es eine thematische Bereicherung und ästhetische Faszination erster Güte bedeutet hätte – mußte aus konservatorischen Gründen abgesehen werden. So blieb die Chronik des Pfarrers Pfisterer, bis die Pläne zu ihrer Edierung konkret Gestalt annahmen, im Tresor verwahrt.

“Der Pfisterer” blieb somit lange Zeit ein Geheimtip, ein Hinweis unter Kennern, wenigen Eingeweihten nur bekannt. Er bezog sich auf einen nunmehr zwar gesicherten (und in begründeten Einzelfällen zugänglichen), aber ungehobenen Schatz: auf eine Bilder-Pretiose im vermeintlich bilderfeindlichen oder zumindest bilderarmen Altwürttemberg.

Eine Wende trat ein, als erste Proben der schlafenden Schönheit ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit kamen. Die im Jahre 1985 von Gerhard Hergenröder vorgelegte neue Ortsgeschichte von Köngen hatte diese Quelle nicht nur genutzt, im lokalen Kontext aufgearbeitet und in Auszügen abgebildet, sondern sie auch unter einzelnen thematischen Aspekten betrachtet und lebendig gemacht. Das Buch, begleitende Artikel und Vorträge fanden eine begeisterte Resonanz.

Welchen Stellenwert, welchen Rang darf die Chronik des Daniel Pfisterer beanspruchen? Nach dem derzeitigen Stand scheint die einzigartige Stellung des Werkes, seine Einmaligkeit außer Frage zu stehen. Die Handschriftensammlungen von acht angefragten großen Bibliotheken ergaben keine Parallelen oder vergleichbaren Beispiele. Auch für das inhaltliche Spektrum, die Bild-Text-Verbindungen in ihrer Gesamtheit scheint das Moment des Einzigartigen zuzutreffen.

Pfisterers Buch vereint damit auf ideale und einmalige Weise – zumindest für das 18. Jahrhundert und den südwestdeutschen Raum – die Qualitätsmerkmale des Objektiven wie des Subjektiven. Als Bild- und Textzeugnis in einem bietet es Anschauung für Bereiche, die im allgemeinen dem kulturhistorischen Zugriff entzogen sind und die sich heute mit modernen Forschungsansätzen wie Mentalitätsgeschichte, Geschichte des Alltags oder der “Volkskultur” verbinden.

Pfisterer selbst ist als Pfarrer zwar durchaus nicht Repräsentant der “kleinen Leute”, sondern der sogenannten Ehrbarkeit zuzurechnen – jener für Württemberg charakteristischen Schicht, die über Jahrhunderte hinweg, fast im Sinne eines geschlossenen Systems, die Pfarrer- und Beamtenschaft des Landes stellte. Pfisterers Chronik jedoch spiegelt – wenngleich im Filter und in der Perspektive des Gebildeten – große und kleine Welt in einem. In Versen und Bildern zeichnet er in höchster Präzision, Farbigkeit und Vielfalt ein Bild der Barockzeit, wie er sie erlebt.

Ohne Frage ist dieses Bild gefiltert und geprägt durch die Wahrnehmungen, Urteile und Vorurteile seiner Zeit. Gerade hier aber zeigen sich spannende Bezüge zwischen der “großen” Geschichte, ihren Epochenmerkmalen und äußeren Abläufen und den individuellen, regionalen, zeitlich und sozial abweichenden Kulturmustern.

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Pfisterer schildert die Straße in ihrer heute fast unvorstellbaren Buntheit und Belebtheit. Auf ihr bewegen und treffen sich Wanderburschen, hohe Herrschaften auf Reisen, Händler und Hausierer, Randständige der Gesellschaft wie ausgediente Soldaten, Juden, Dirnen, Bärentreiber, Gaukler aller Art. Pfisterer zeichnet sie fast fotografisch genau in ihrer Kleidung, Haartracht, Körperhaltung, samt ihren Requisiten und Tätigkeiten.

In seinen Versen aber – oft Zeugnissen barocker Dichtung, oft auch Nachdichtungen, biblischen Bezügen – öffnet er das Arsenal seiner zeit- und standesgemäßen Werthaltungen. Was uns als härtestes Vorurteil erscheinen mag, ist in vielem geprägt durch barockes Denken über Gott und die Welt, Leben und Tod. Barocke Themen und Topoi, wie sie aus Theologie, Philosophie und Dichtung geläufig sind – Ordo-Denken, Memento mori und Vanitas-Motiv – erscheinen so als Regulatoren, die bis in kleinste Details das Leben der Menschen durchdringen und durchziehen. In Archivalien sprachlicher Art bleiben uns diese Dispositionen, Differenzen und Spannungsverhältnisse im allgemeinen verborgen.

Daß Pfisterer ein typischer Repräsentant seiner Zeit und seines Standes, Köngen aber gerade nicht irgendein Dorf war, diese Kombination weist auf ein weiteres Spannungsverhältnis und damit einen wichtigen Wert der Quelle hin. Köngen war ein württembergisch-reichsritterschaftlicher Ort, in dessen Schloß adlige Herren residierten. Dieser Nähe, aber auch seiner eigenen familiären Herkunft entstammt Pfisterers Kenntnis der höheren Stände und des Hof- und Herrschaftswesens seiner Zeit, das er mit beeindruckender Offenheit kritisiert.

Bietet also Köngen durch seine Lage an einer wichtigen Landstraße, durch Schloß und Kirche bereits ein erweitertes Spektrum barocken schwäbischen Alltags, so erweitert Pfisterer diesen Radius durch eigene Studien, Beobachtungen und Eindrücke, die er in seine Chronik einfließen läßt. Auf diese Weise erlangt das Buch durch Herkunft, Inhalt und Themen wie durch seine Qualität der Darstellung eine Bedeutung, die weit über Köngen und Württemberg hinausreicht.

Christel Köhle-Hezinger



Inhalt:

Inhalt Band 1

Sämtliche 264 Farbtafeln


Inhalt Band 2

Transkription der Texte

Einleitung
von Christel Köhle-Hezinger

Daniel Pfisterer und Köngen
von Gerhard Hergenröder

Daniel Pfisterer – Pfarrer, Künstler, Zeitgenosse in Hirschlanden, Botnang und Köngen
von Rainer Lächele

Hölle oder Himmel – Pfisterers Anschauungen zum Geschlechterverhältnis
von Gesa Ingendahl

Die Bilderwelt des Daniel Pfisterer. Ausgewählte Motive und ihre Tradition
von Eva-Maria Klein

“Groß und kleiner Blumen Pracht, zeugen all von Gottes Macht”. Pflanzen und Tiere in der Bilderchronik des schwäbischen Pfarrers Daniel Pfisterer
von Armin Geus

Möbel, Gerät, Instrument und Gefäß. Realien im Buch des Daniel Pfisterer
von Hans-Ulrich Roller

Die “Münz-Seite” in der Handschrift des Köngener Pfarrers Daniel Pfisterer
Ulrich Klein

“Barockes Volk?” Zur Frage von Differenz und Nähe im Dorf des 18. Jahrhunderts
von Christel Köhle-Hezinger



Daniel Pfisterer (1651–1728)
Pfarrer, Künstler, Zeitgenosse in Hirschlanden, Botnang und Köngen


Zeitgenosse
Als Daniel Pfisterer am 12. Dezember 1651 in Stuttgart zur Welt kam, wurde er in eine Welt geboren, die ganz anders war als unsere heutige. Pfisterers Eltern, der einstige Mundschenk und nunmehrige Hofkorbmacher, Hofküfer und Binder Daniel Pfisterer sen. und Ursula Maria Beck, bekamen ihr Kind in dramatischen Zeiten. Die Historiker reden von ihnen als der “großen Krise des 17. Jahrhunderts”, die geprägt war von der Reduktion des Lebensstandards, von der Bedrohung der Lebenssicherheit und dem Nachlassen des Lebensmuts. Konkret bedeutete dies Seuchen, wirtschaftlichen Niedergang und vor allem kriegerische Auseinandersetzungen. Kurz gesagt: “Der im 16. Jahrhundert dominierende Glaube an den Fortschritt war im 17. Jahrhundert offensichtlich gebrochen, die Selbstsicherheit der Europäer dahin; jetzt, im neuen Säkulum, dominierten nicht mehr Zuversicht und Hoffnung, sondern Sorge und Angst, jetzt dominierte nicht mehr das Leben, sondern der Tod.”

Wenn auch das Herzogtum Württemberg durch den Dreißigjährigen Krieg schwer geschädigt worden war, so hatte die Stadt Stuttgart vergleichsweise wenig Einbußen zu beklagen. Gleichwohl war der Anblick von Soldaten für den jungen Daniel keine Besonderheit. Sein ganzes Leben sollte überschattet sein von kriegerischen Auseinandersetzungen wie dem Holländischen Krieg (1672–1678), der Besetzung Straßburgs durch Frankreich (20. September 1681), den Türkenkriegen (1683–1689), dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) und dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714). Wieder und wieder zogen Truppen durch Stuttgart, verlangten Quartierkosten und Kontributionen.

Allem Anschein nach wuchs Daniel Pfisterer, der schon als Zweijähriger seinen Vater verlor, in Stuttgart auf. Schriftliche Quellen über diese Zeit haben sich so gut wie nicht erhalten, sieht man einmal von dem Eintrag in das Taufbuch der Stuttgarter Stiftskirche vom Jahre 1650 ab. Die am 13. Dezember 1651 dort beurkundete Taufe des Daniel Pfisterer zeigt das gesellschaftliche Umfeld, in das er hineingeboren wurde. Als Taufpaten sind dort der Geheime Sekretär Johann Melchior Sattler, der “Castkeller” Hieronymus Welsch, Anna Maria Müller, die Frau des Oberraths Nicolai Müller, sowie Anna Hofstätter, die Gattin des Geheimen Sekretärs Ludwig Hofstätter, genannt. Bei allem Bemühen der Zeitgenossen, möglichst höherrangige Paten zu gewinnen, kann man dennoch sagen: Daniel Pfisterer verbrachte seine Jugend im Dunstkreis des Stuttgarter Hofes zu Zeiten Herzog Eberhards III.

Leider sind uns von Pfisterer nicht, wie von manchem seiner Zeitgenossen, Lebenserinnerungen überliefert, die weitere Auskünfte über diesen Lebensabschnitt geben könnten. So läßt sich über sein Elternhaus schnell berichten. Pfisterers Mutter Ursula Maria war die Witwe des Birkenfeldischen Hofpredigers Sebastian Beck und heiratete in zweiter Ehe Daniel Pfisterer sen. Auch dessen Lebensweg ist nur in groben Umrissen bekannt. Er wurde in Sulzfeld auf dem Kraichgau geboren und ist 1626 als Hofkellerknecht in Stuttgart nachgewiesen. Abgesehen von der Zeit zwischen Jakobi 1631 und Lichtmeß 1633 hatte er dieses Amt bis Georgi 1634 inne. Nachdem er vier Jahre als Mundschenk in Straßburg wirkte – wahrscheinlich floh er nach der Katastrophe der Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634 mit dem Herzog und vielen anderen Stuttgarter Bürgern dorthin –, ließ er sich 1638 als Hofküfer in Stuttgart nieder.

Auch hinsichtlich der Geschwister des Daniel Pfisterer ist man weithin auf Vermutungen angewiesen. Indirekt lassen sich jedoch zwei Schwestern erschließen. Eine der beiden heiratete den seit 1683 in Calw amtenden Special Johann Ludwig Dreher (1631–1694). In zweiter Ehe war sie mit dem Tübinger Theologieprofessor Johann Adam Osiander (1622–1697) verheiratet. Eine weitere Schwester wird als Ehefrau des Pfarrers in Kirchheim am Neckar, Johann Daniel Hitzler (1639–1694), erwähnt.

Auch zu Daniel Pfisterers schulischer Bildung schweigen die Quellen fast völlig. Wer ihm nahegebracht hat, den Beruf des Geistlichen zu ergreifen, wissen wir nicht. Doch werden dabei die beiden über zwei Jahrzehnte älteren Schwager Dreher und Hitzler eine gewisse Rolle gespielt haben. Dies gilt um so mehr, als beide in der Nähe Stuttgarts amteten und vielleicht sogar ein Stück weit bei dem früh zum Waisen gewordenen Daniel den Vater vertreten haben. Jedenfalls verließ Daniel Pfisterer im Sommer 1671 die Klosterschule Maulbronn als Primus, um sich am 10. August in die Matrikel der Landesuniversität Tübingen einzutragen. Im Oktober 1673 wurde der 22jährige Theologiestudent Stipendiat des Evangelischen Stifts in Tübingen, dem er bis 1682 angehörte. Nach Ausweis seiner Zeugnisse studierte der junge Theologe mit gutem Erfolg, ohne daß er in disziplinarischer Hinsicht aufgefallen wäre. Am 8. März 1676 machte er seinen Magister. Sicherlich hat er ein Jahr später die prachtvoll gefeierte Zweihundertjahrfeier der Universität Tübingen miterlebt, wenn er nicht sogar selbst an den Feierlichkeiten mitwirkte.

Wie alle jungen Theologen seiner Zeit hatte er eine lange Vikarszeit zu bestehen, wobei er nach wie vor Angehöriger des Tübinger Stifts blieb und somit auch weiterhin das Stipendiatengeld bezog. Nach einem Vierteljahr in Uhlbach verbrachte er jeweils wenige Wochen – meist, um einen verstorbenen Pfarrer zu vertreten – in Schweigen, in Lustnau bei Tübingen und auf dem Hohentwiel. Ein ganzes Jahr lang hielt er sich dann in Botnang bei Stuttgart auf, wo er nach Auskunft des Synodus-Protokolls “von der gemeindt und dem pfarrer commendiret [empfohlen]” wurde. Viele Jahre später wurde er hier selbst Pfarrer. Nach Aufenthalten in Eningen bei Reutlingen, Calw, Bietigheim, Großbottwar und Kirchheim am Neckar und dem am 25. Juli 1682 bestandenen Examen vertraute man ihm zum ersten Mal eine Pfarrstelle an.


Hirschlanden
Als Daniel Pfisterer im Sommer 1682 in das bei Leonberg gelegene Hirschlanden kam, traf er eine Gemeinde an, die schwer an den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden hatte. 1634 lebten hier gerade noch 81 Seelen. Diese Zahl erhöhte sich 1665 auf 140 Seelen, als die Hirschlandener beim Stuttgarter Konsistorium um einen eigenen Pfarrer baten. Hirschlanden war von 1646 bis 1662 als Filial von Schöckingen versehen worden.

Mit nicht wenig Stolz schrieb Daniel Pfisterer schwungvoll über die Eintragung seiner ersten Amtshandlung in Hirschlanden: “ANNO M.DC.LXXXII. Mgr. Daniel Pfisterer Stuttgard. primum ordinatus pastor Hirschlandio Infantes Sacra diluit aqua Sequentes [etc]” [Im Jahre 1682 hat Magister Daniel Pfisterer aus Stuttgart als erstes, als er zum Pfarrer ordiniert war, folgende Kinder im heiligen Wasser gewaschen]. Doch die Taufe war nur eine der vielen Amtspflichten Pfisterers. Er mußte an Sonn- und Feiertagen predigen, täglich eine Betstunde halten, samstags eine “Vesperlection” nach dem Abendläuten veranstalten, wöchentlich die Schule visitieren, sechsmal im Jahr das Abendmahl austeilen, taufen, trauen, beerdigen und schließlich die 38 Kinder des Katechismusunterrichts, also die sonntägliche Kinderlehre, betreuen. An letzterer hatten alle Ledigen unter 24 Jahren teilzunehmen.

Hinzu kam die sogenannte “Kirchenzensur”, die jeden Monat durchzuführen war. Unter dieser auch „Kirchenkonvent“ genannten Einrichtung ist ein seit dem Dreißigjährigen Krieg existierendes Gremium zu verstehen, das die Lebensführung der Bevölkerung zu überwachen hatte. Zusammen mit dem Schultheißen und dem Dorfgericht hatte der Geistliche sittliche Verfehlungen zu rügen, wobei das Ergebnis der Verhandlungen in den Kirchenkonventsprotokollen festgehalten wurde. Diese Protokolle haben sich für Hirschlanden nicht erhalten, doch existieren solche Aufzeichnungen aus Pfisterers Botnanger Amtszeit. Sie zeigen das breite Spektrum der Fälle, das hier verhandelt wurde. So wurden Versäumnisse im Besuch von Kirche und Betstunde, leichtsinniges Schwören, Versäumnisse von Schule und Katechese, aber auch Trunkenheit, vorehelicher Geschlechtsverkehr und die beliebte Sitte des Lichtkarz untersucht und mit entsprechenden Strafen belegt.

Schließlich hatte der Pfarrer die Kirchenbücher fortzusetzen, also Taufen, Trauungen und Beerdigungen zu verzeichnen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Führung des sogenannten “Befehlsbuchs”, das die Abkündigungen von der Kanzel enthielt. Abendmahls- und Konfirmationstermine zählten hierzu ebenso wie Kollektenabkündigungen, aber auch politische Edikte des Herzogs. Eine für die Zeit nicht untypische Mitteilung betraf die allzu aufwendige Kleidung der Geistlichen. 1683 etwa mußte Pfisterer notieren: “so müßen wir iedoch, daß solchen Von Uns geschehenen Verbotts, Von theils Geistlichen und dero angehörigen, die sich in Kleidunge gar zu hoffartig erzeigen, nicht gebührend nachgelebet werde, mit sonderem Mißfallen vernemen.” Darauf erging der “NachMahlige ernstliche Befehl”, “Ihr wollet, da Ihr wißenschafft habt, daß einige derer Euch gnädiglich anVertrauten Superintendenten Untergebene Ministri, oder eheweiber und Kinder in Unzuläßiger Kleidung sich sehen ließen, behörige nachdencksame andung [...] gegen dieselben vornehmen”. ”So wollet Ihr auch davor seyn, daß die pastores die Ministerialia, umb der Conformität willen so viel möglich in Kragen gebührend verrichten, auch da sie sonst aus dem Hause gehen und über feld reisen, nicht Mehr in Halstüchern oder floren sondern über schlagen sich aufführen sollen.” Auch die Anordnung eines großen „Buß bett und festag“ wegen der Türkengefahr (Wien 1683) hatte Pfisterer zu verzeichnen. Aus all dem wird deutlich, daß Daniel Pfisterer wie alle württembergischen Geistlichen längst nicht “nur” Pfarrer war. Vielmehr stellte er eine Vertretung der Obrigkeit dar, deren Bedeutung angesichts der ständigen Präsenz von Religion im täglichen Leben der frühen Neuzeit kaum zu überschätzen ist.

Die Vorgesetzten waren recht zufrieden mit dem neuen Pfarrer von Hirschlanden. Im März 1684 bescheinigten sie ihm: “Dieser Minister hat de morte et Sepultura, als in Respondirens seine Lehre mit Vergnügung des Collegii defendiret. Sein practici officii versihet er fleißig.” Dabei ist es voreilig anzunehmen, das kirchliche Leben hätte sich des ungeteilten Interesses der Gemeinde erfreut. So mußte 1684 der visitierende Leonberger Specialsuperintendent zwar feststellen, „daß die Pfarrer und Kirchendiener mit der göttlichen reinen und gesunden reinen Lehre: ausspendung der heiligen Sacramenten, auch Christl.[ichen] Leben und Wandel die Ihnen anvertraute Herde als getreue Hirte zu versorgen und zu Gott in das ewige Leben zu führen sich ernstlich angelegen seyn lassen“. Im selben Atemzug jedoch klagte er über die Entweihung des Sonntages durch Kirchweihen in den Nachbarorten und bedauerte das mangelnde Interesse an den Freitagspredigten, Kinderlehren und täglichen Betstunden.

Neben diesen Amtspflichten gab es jedoch für Daniel Pfisterer noch weitere wichtige Bereiche des Lebens. Gemeint ist damit, daß der junge Pfarrer am 5. August 1582 Anna Walburga Steeb (1662–23.3.1728) heiratete, die aus einem Pfarrhaus stammte. Ihr Vater war Elias Steeb (1630–1699), Pfarrer in Bodelshausen. Hirschlanden ist zudem der Ort, an dem die beiden jungen Leute ihre Familie gründeten. Sichtbares Zeichen dafür war die Taufe der Tochter Maria Cleophe am 27. August 1683, die später den Köngener Wundarzt Gabriel Hermann heiraten sollte. Am 18. Oktober 1685 wurde dann der erste Sohn getauft, der nach dem Vater den Vornamen Daniel erhielt. Ihm folgte am 28. Mai 1687 die Tochter Dorothea.

Die Freude über die Kinder mischte sich jedoch bald mit tiefer Trauer. Denn am 18. Juni 1686 mußte Daniel Pfisterer im Hirschlandener Totenbuch festhalten: “Freitag Nachts Umb 11 Uhr ist seelig gestorben Mein Mgr Daniels Pfisterer alhiesig Pfarrers hertzgeliebtes ¾ Jähriges söhnlein mit Nahmen daniel, an einem Zweitäglig-Continuirll.[ichen] gicht- [Krämpfe] und arbeith.[en] [Ringen mit dem Tod], iedoch ohne einiges wehklagen oder gram, biß er das lezte lebenspünctle, welches es mit vielen lauten erbärmlichen seuffzen endlich geendet: Und ward es so darauff Christl.[ich] zur erden bestattet; Gott heile die tieffgeschlagene Hertzenswunde und verbinde sie mit seinem Trost, in wehrender Hoffnung deß wiedersehens, biß an jenen Großen Tag, und biß Wir in Krafft der aufferstehung Chr.[isti] mit freuden wiederumb zusammen kommen.“


Botnang
Nach sechs Jahren im Amt begann für Pfisterer im Frühsommer 1688 ein neuer Lebensabschnitt. Die Obrigkeit schickte ihn als Pfarrer nach Botnang, unweit von Stuttgart gelegen. Vor der Investitur war jedoch noch eine Probepredigt vor der Gemeinde zu bestehen. Pfisterer absolvierte auch diese Aufgabe mit Erfolg. Noch am Tage der Probepredigt konnte die Botnanger Obrigkeit an den Special in Stuttgart berichten, “daß allhiesige Richter sambt gantzer Burgerschafft, mit höchstgedachtem Herrn Pfarrer [also Pfisterer] seiner gehaltenen Prob-Predig sehr wohl content, und ein sattsames und wohlgefälliges benüegen gehabt haben“.

Die positiv aufgenommene Probepredigt war keine Eintagsfliege. Die Gemeinde war auch auf Dauer zufrieden mit dem neuen Pfarrer, was das kurze Sätzchen “die gemeine liebet u:[nd] förchtet Ihn” in der Visitation von 1692 zum Ausdruck bringt. Botnang war nun keineswegs eine reiche Gemeinde. Nur wenige landwirtschaftliche Nutzflächen standen zur Verfügung, alles andere auf der Dorfgemarkung war Wald, der dem Herzog gehörte. Zudem waren zur Zeit von Pfisterers Berufung immer noch die Lücken zu spüren, die der Dreißigjährige Krieg in die Bevölkerung gerissen hatte.

Gleichwohl verband sich mit dieser Berufung eine Verbesserung der materiellen Situation der Familie. Wie die sogenannten “Competenzbücher” zeigen, die gewissermaßen die “Besoldung” der Geistlichen ausweisen, lagen die Einnahmen aus dem Pfarramt in Botnang höher als in Hirschlanden. Auch hier wuchs die Familie weiter an. Die 28jährige Anna Walburga Pfisterer brachte am 17. Januar 1690 eine Sophia zur Taufe, ein Ereignis, das ihr Vater sogleich mit einem besonders schön verzierten “S” am Anfang ihres Vornamens im Taufbuch der Gemeinde Botnang festhielt. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später wurde am 6. Januar 1692 der Sohn Wilhelm getauft, der später den Beruf des Vaters ergreifen sollte. Den Kreis der in Botnang geborenen Kinder ergänzten am 14. September 1694 die Tochter Salome sowie am 27. September 1697 der Sohn Elias.

In Botnang bewahrheitete sich erneut, was schon oben zur Lebenssituation des Daniel Pfisterer gesagt wurde. Die Schatten des Krieges tauchten von neuem auf, und zwar dergestalt, daß sich die Franzosen nach der Verwüstung der Pfalz im Herbst 1688 in Richtung Württemberg wandten. Ende 1688 besetzten sie Stuttgart, forderten hohe Abgaben und plünderten vielfach in der Stadt. Parallel dazu herrschte eine enorme Furcht vor den Franzosen, die, veranlaßt durch eine Falschmeldung, im August 1689 zu einer Massenhysterie in Stuttgart führte. Dabei verließ ein Großteil der Bürger überstürzt die Stadt.

Diese Ängste waren gleichwohl nicht unbegründet, wie Daniel Pfisterer am eigenen Leibe erfuhr. Am 30. Januar 1690 mußte er seinem Vorgesetzten berichten: “Bestien haben wir hier anstat der einquartierten soldaten, welche alle papistisch und tag und Nacht den Flecken auff und ab so Gotteslästerlich fluchen und schwüren daß es der kat’ exochän diabolos [der Teufel selbst] schwerlich ärger machen könte.”

Nicht genug, daß sich die Soldaten in unziemlicher Weise aufführten; sie schreckten auch nicht davor zurück, Pfisterer persönlich einzuschüchtern. Dieser schrieb über die Besatzer: “Sie leben ohne Commando denn der Corporal ist selber so schlimm als sie und haben Mir drohen laßen, wofern Ich das Geringste in der Kirch wider die Papisten Melden werde, so wollen sie Mich offentlich beschimpffen und heißen Lügen.” Zugleich fühlte sich Pfisterer verantwortlich für seine Gemeinde, der gegenüber er kaum über die Vorgänge schweigen konnte: “sie sind noch nicht unser Herren, und wen man auch selbige in keinem Stück opponierte, sie würden mich noch aus der Kirche und die Bürger aus den Häusern jagen; doch leb Ich so behutsamb gegen sie als Mir möglich ist.”

Nicht zuletzt diese Erfahrungen sind als Hintergrund zu sehen, wenn Pfisterer in seiner Handschrift das Soldatentum höchst negativ beschrieb (Pf 126): “Diß ist der außgang den Soldaten Leüt erbeüten; / Sie sind der Bauren Last zu Kriegs und Fridenszeiten, / In Dörffern bettlen Sie, im Felde sind sie Räüber, / Deß Nachtes sind sie Dieb, deß Tages Heilgen=stäüber”.

Zu diesen äußerlichen Bedrohungen kamen noch andere Schwierigkeiten. Pfisterer mußte sich mit einer Magd auseinandersetzen, die er der Prostitution und der mehrfachen Abtreibung verdächtigte. Seinen Special bat er: “Wollten Ew. Dignität in dem Examine so viel thun und per Examen soviel von Ihr erforschen, was vor buben zu ihr gewandelt.” Weit problematischer als solche Angelegenheiten war jedoch ein Streit, der sich zwischen Pfisterer und dem Stuttgarter Gewölbeverwalter Johann Georg Plebst erhob. Aus der Korrespondenz Pfisterers geht hervor, daß sein Schwager, Pfarrer M. Johann Friedrich Hartmann, von Plebst ein Pferd gekauft hatte, das sich später als völlig unbrauchbar erwies. Hartmann verfaßte daher eine “Satyram” auf den Gewölbeverwalter, die Pfisterer an seinen Freund und Paten seiner Kinder, den Stuttgarter Bürgermeister Jacob Fischer (1645–1719), weitergab. Fischer seinerseits ließ die Auslassungen von Gymnasiasten abschreiben, was wiederum dem Gewölbeverwalter zu Ohren kam. So steigerten sich Beschuldigung und Gegenbeschuldigung bis zur Konfrontation, die Pfisterer schilderte: “weil Er mich aber bezüchtigte Ich hätte Ihm eine pasquille gemacht und ein Hund gescholten, welches Niemand anders als ein schelm thue. Hab Ich Ihme repliciret daß ein pasquillmacher unter den Hencker gehöre und weil er Mich vor einen solchen hilte und schelte, der doch nicht wiße was ein Carmen Jocosum [Scherzgedicht] oder ein schelm sei so schrieb Ich solches wieder in seine bogen darauß wurd endlich eine solche weitläuffigkeit daß Mich vor Gott wunder nimbt, woher Ich doch die gedult geborget, daß Ich Ihme nicht zum Krüppel geschlagen habe.”

Pfisterer suchte die Unterstützung seines Vorgesetzten, nicht zuletzt deswegen, weil es sich bei Plebst um einen Angehörigen des herzoglichen Hofes handelte. Schließlich sah er sich durch ständige weitere Beleidigungen des Plebst gezwungen, selbst bei Hof vorstellig zu werden. Den Vorwurf des Pasquillen-Verfertigens wollte er nicht auf sich sitzen lassen. So schrieb er Herzogin Magdalena Sybilla (1652–1712): “also hofe ich auch es werden E.[uer] HochE[dle]. Durchl.[aucht] nach befindendem ding mich als einen ehrl.[ichen] Minister und Unterthanen Wider solchen Erz Calumnianten [Verleumder], der durch vielfältig Mißbrauch dero H[och]fürstl.[iche] Gnaden, darinn er stehet nicht allein sein Ampt schändet und verschimpfet, sondern auch ohne unterschied so viel unschuldige Leute injuriret und calumniret, belog und betrog, auch zum theil über sich seufzend und Weinend gemacht, manuteniren [in Schutz nehmen], und deßen, grobe unverständige vermäßenheit dero ungnädiges Mißfallen nachdrucklich fühlen und empfinden laßen.“ Diese jedoch ließ sich von den Vorstellungen des Pfarrers nicht beeindrucken, sondern befahl dem Special am 5. August 1690, Pfisterer solle sich in Zukunft entsprechender Ausdrücke gegenüber dem Gewölbeverwalter enthalten und “künfftig sich besserer behutsamkeit zue befleißigen”.

Diese Ereignisse verdeutlichen, daß Pfisterer keineswegs ein schüchterner, in sich zurückgezogener Geist war, sondern einem Konflikt nicht aus dem Weg ging, zudem sich auch deutlicher Worte nicht enthielt. Zum anderen fallen die engen Kontakte Pfisterers zu Stuttgart ins Auge, wurde in diesem Zusammenhang doch mehrmals der Name des Bürgermeisters Jacob Fischer genannt. Dieser – von Pfisterer später als “Vatter und Wohlthäter” bezeichnet – war nachweislich bei den ersten sechs Kindern Pfisterers zum Paten bestellt. Auch die anderen Paten der Kinder standen dafür, daß Pfisterer eng mit dem Bürgertum Stuttgarts verbunden war. So taucht bei fünf von den sechs Kindern das Ratsmitglied Christoph Zoller als Pate auf, der sich als Zinngießer und Bauverwalter in Stuttgart betätigte, wie auch dessen Frau Marie Agnes. Ähnliches gilt für die Ehefrau des Hofsattlers Christoph Negelin, Catharina Elisabeth Negelin, und für Paulus Klotz, Schönfärber aus Stuttgart, die bei jeweils einem Kind Pfisterers Pate standen. Kollegen Pfisterers oder deren Ehefrauen kamen dahingegen kaum einmal in das Patenamt. Überdies wird Pfisterer – schon allein der kurzen Entfernung zwischen Stuttgart und Botnang wegen – sich nicht selten in Stuttgart aufgehalten haben.

Man kann durchaus sagen, daß Pfisterers berufliche Laufbahn in Botnang einen gewissen Höhepunkt erreicht hatte. Die Synodus-Protokolle, die in Kurzform über die regelmäßigen Visitationen berichten, enthalten nur Positives. Er wird gelobt. Man ist beeindruckt von seinem großen Fleiß und seinem Eifer, den er an den Tag legt. Man konstatiert: “ist ein feiner Prediger: Beobachtet die Tisciplin: führet einen guten wandel.” Besonders beeindruckt zeigten sich die Visitatoren durch seine guten Predigten: “Er ist wegen Seiner erbaulichen Predigen bey der Gemein beliebt, catechisirt methodice und fleißig beobachtet allgemeine disciplin, führet seinen Wandel ohne Klag, continuiert die Studia.” 1692 wird ihm gar attestiert, er sei “von scharfsinnig gute Ingenio, u.[nd] schöne qualitäte”.

Doch diese Einschätzungen vermitteln die Perspektive der Visitatoren und kaum einmal die Sicht des Betroffenen. Daß das Leben für einen Geistlichen in Botnang nicht einfach sein mochte, kann den Akten zumindest in Ansätzen entnommen werden. Im Visitationsbericht von 1692 klingt es wenigstens an: “Botnang visit. hat ein sehr beschwerl.[ichen] Filial Weg deß großen bergs so dazwischen ligt, mit groß müh zu verseh.[en] Heßlach.” Dort ist ebenfalls vermerkt, daß Pfisterer in Botnang und in dem Filial Heslach nicht weniger als 177 Kinder in der Kinderlehre zu betreuen hatte.

Ein weiteres Indiz für Pfisterers Unzufriedenheit in Botnang dürfte sein, daß er sich 1694 mit ausdrücklicher Genehmigung seines Vorgesetzten auf die Pfarrstelle in Kirchheim am Neckar bewarb. Seine Kandidatur läßt bei aller zeitbedingter Ausschmückung und Übertreibung ahnen, wie es um ihn stand. So schrieb er am 31. Januar 1694 an den Herzog: „Es ist die seel.[ige] Pfarrerin zu Kirchheimb am Neckar welche den 26. dieses sambt Ihren lieben Pfherrn gestorben, Und mit Ihm in ein Grab Zu liegen kommen, Meine einerseits rechte Schwester gewesen, deren 7 hinderlaßene Arme und zum Theil auch krancke Waisen künfftig Zu verpflegen, fället, theils auß Mangel der Mittel, weil sie durch die Franzosen fast alles verlohren, theils auß ferne der Freunde, welche sich gleichfalls alle ubel gehoben, gar schwer. Ich selbsten bin totalii ruiniret, und außgeplündert, bringe die Meinigen beÿ so mühsamer pfarr und gar geringem außkommen, kümmerlich fort, wollte gern freund- und bruderstreue an Ihnen beweisen, hab aber leider die Kräffte nicht. Nichts desto weniger hangen Mir die arme Würmle an dem Hertzen, daß Ich vernemblich denselben zum beßten, Von meinen freunden in Stuttg.[art] auch Meinen wenigen Gütern daselbsten hinweg, Und gleichsamb dem Krieg entgegen zu ziehen, Ew. HochFürstl.[iche] Durchl.[aucht] Unterthänigst zu bitten erkühnen, weil Ihro HochFürstl.[iche] Durchl.[aucht] Ältere Verwittibte Hertzogin zu Nürtingen, das Jus denominationis beider dasiger Kirchen haben, Mir gnädigst zu erlauben, daselbsten Mich Unterthänigst Umb selbige Pfarrstelle, welche schon Vor diesem vicario modo versehen, und daher der Gantzen Gemeinde wol bekant bin, angeben und bewerben zu dürffen; in Ungedrübter Hoffnung, es werde Ew. Hochfürstl.[icher] durchl.[aucht] auß Hochfürstl.[icher] Mildester Erbarmniß gegen die armen und verlaßenen Waißen, Mir gleichfalls dürfftigen und verderbten Minister hierzu gnädigste Beförderung thun, damit Nehergedachte Waißen unter getreue Auffsicht auch vollend christl.[iche] aufferziehung, und dero Noch lebende fahrniß und liegende Güter nicht abgängig sondern im Stand erhalten werden.“

Sicherlich muß man in Rechnung stellen, daß auch die anderen Bewerbungsschreiben um die Pfarrstelle Kirchheim am Neckar den Faktor des Krieges und der persönlichen Not anführten. Doch wird man Pfisterer sicherlich ein echtes Bemühen um die Kinder seiner verstorbenen Schwester unterstellen dürfen. Hinzu kommt, daß er die Gemeinde Kirchheim am Neckar vom Vikariat im Sommer 1682 her kannte. Doch all dies trug nichts aus. Der Renninger Geistliche M. Chr. Jeremias Reuss wurde Pfisterer vorgezogen. Vielleicht mochte dabei mitgespielt haben, daß Herzogin Magdalene Sibylle, die das Denominationsrecht in Kirchheim am Neckar ausübte, Pfisterer von dem Skandal um den Gewölbeverwalter Plebst her noch in unguter Erinnerung hatte. Verständlich, daß sich Daniel Pfisterer weiterhin um einen neuen Wirkungskreis bemühte. Nachweislich nahm er 1697 einen neuen Anlauf, doch auch hier ohne Erfolg.


Köngen
Pfisterers Stunde kam erst 1699. Am 25. Mai starb der Köngener Pfarrer Hieronymus Hornung (1626–1699), den auf der Kanzel ein Schlaganfall ereilte. Bereits sechs Tage später reihte sich der Botnanger Pfarrer in die immerhin zwölf Bewerber umfassende Gruppe ein. Bei dieser Gelegenheit schilderte er erneut seine schwierige Situation: „Wie ich nun Vor 2 Jahren Von Ew.[er] HöchstE[hr]w.[ürden] durchl. die gnädigste Vertröstung empfangen, daß Mir bei nächster anständiger Condition solle geholffen werden; also habe auch die unterthänigste Hoffnung, [...] Es werde mir und den Meinigen dero Gnädigste resolution vor dieses mal ein Trost seyn.” Unterstützung erhielt Pfisterer durch den Stuttgarter Special Weißmann, der ausführte: “Dieser unterth:[änige] Supplicant ist alt 48. Jahr: in dem Ministerio 16. Jahr und 9. Monat, ist gesegnet mit 5. kindern: hat bißher zu Botnang gehabt eine mittelmässige accomodation, dern beschwerlichkeit ihme ie länger unerträglich fället, weil er durch das Filial Heßlach, allein an Sonn- Feyer- und Freytag zu predig an seiner leibes stärcke sehr ruinirt wird. Hat bißher sein ampt mit Theologischer dexterität [Rechtschaffenheit] geführet, und ist seiner gemeind nicht ohne nutzen und erbauung viele zeit wohl fürgestand.”

Am 21. Juni 1699 nominierte – wie mit dem Herzogtum Württemberg abgesprochen – der Köngener Ortsherr von Thumb drei Kandidaten für die Pfarrstelle, darunter jedoch nicht Daniel Pfisterer. Es kam in der Folge zu einer Neuauflage der langanhaltenden Auseinandersetzungen zwischen dem Ortsadeligen und dem Kloster Denkendorf über die geistlichen Rechte in Köngen. Seitdem der württembergische Herzog 1666 im Rahmen der Abrundung seines Territoriums eine Hälfte Köngens erworben hatte, trachtete er nach weitergehenden Einflußmöglichkeiten auf die Wahl des Ortsgeistlichen. So war das herzogliche Konsistorium mit den drei vorgeschlagenen Personen keinesfalls zufrieden, sondern brachte am 15. Juli 1699 Daniel Pfisterer für die Köngener Pfarrstelle in Vorschlag. Damit hatte Pfisterer das sehnlich erhoffte Ziel erreicht, von Botnang Abschied nehmen zu können. Daß Köngen in der Besoldung erheblich besser als Botnang lag, wird ihm den Abschied sicher erleichtert haben. Zugleich war die Gemeinde dort etwas größer als Botnang: der Köngener Vikar Sigmund Friedrich Hornung zählte im Mai 1699 522 Seelen.

Am 1. September 1699 nahm Pfisterer seine Amtsgeschäfte in Köngen auf. Weitere Spuren seiner pastoralen Tätigkeit in Köngen haben sich kaum erhalten, sieht man einmal von der Anschaffung eines Gebetbuches ab. Hinzu kommt, daß Köngen damals noch nicht vom herzoglichen Konsistorium visitiert wurde, und damit auch keine Berichte über Pfisterers Amtsführung zur Verfügung stehen.

Dokumentiert ist jedoch eine weitere familiäre Tragödie. Als 1707 in Köngen die Ruhr grassierte, mußte Daniel Pfisterer am 22. August 1707 in das Totenbuch der Gemeinde Köngen eintragen: “Ist auch mit meinem größestem Hertzeleid gestorben an der umbgehenden Ruhr Mein Mgr. Daniel Pfisterers Pfarrers hertzgeliebtes Söhnlein Jakobus abends zwischen 3 und 4 Uhren, seines alters 7 Jahr weniger 3 Monat und 2 Tag und am Tag Bartholomei begraben. War ein gehorsames frommes Kind. Gott sei ihm ewig gnädig! und lege seine übrigen Jahr, die es noch hätte leben können, auff seine ubrigen Geschwister. Ach liebes Kind Du thust mir weh, / daß Ich dich schon verblichen seh, / In so geringer Zahl der Jahr, / die voller guter Hoffnung war.”

Eine Woche später raffte die Ruhr auch den jüngsten Sohn Daniel hin. Pfisterer notierte tief erschüttert: “den 1. Septembris Morgends zwischen 3 und 4 Uhren ist auch so bald seinem lieben Brüderlen gefolgt Daniel, Mein M. Daniel Pfisterers Pfarrers anderes Söhnlein an gleichem Affect der leidigen Ruhr, alt 4 Jahr, weniger 6 Wochen. War ein schönes, holdseeliges Kind, so genug um nur geweß zu einem einfachen Leid, geschweige des verdoppelten zu vergrößern und fast unerträglich zu machen. / Nun ist mein ergötzen hin, / weil ich alt und einsam bin. / Gott tröste den betrübten Sinn!” Tiefe Trauer also, vielleicht sogar Bitternis war über den nunmehr 56jährigen Pfisterer gekommen. Doch auch an der Schwelle zum Alter blieben ihm noch angenehme Aufgaben. Zu diesen zählt die Trauung seines alten Freundes Jacob Fischer mit der “Wohl-Edlen, Hoch- Ehren- und Tugendbelobten JUNGFER Anna Cordula Pfeifferin” von Memmingen. Dem immerhin schon 66 Jahre alten Bräutigam wünschte er, daß “durch das vernünftige und liebreiche Tractament Eurer Ehe-Liebstin Ihr wieder verjüngert [!] werdet”.

Auch hier in Köngen bestanden also die alten Verbindungen Pfisterers zum Paten seiner Kinder fort. Ebenso muß er sich wiederholt in Stuttgart aufgehalten haben, wie die Bilder in seinem Buch ausweisen. Erinnert sei an das Bild des Elefanten, der im Februar 1697 in Stuttgart zu sehen war (Pf 81), den Brunnen auf dem Stuttgarter Schloßplatz (Pf 85), die Kamele, die er auf die Jahre 1658, 1666 und 1690 datiert (Pf 137), das “Monstrum ohne Arm” (1668) und die Riesin (1667) (Pf 137).


Pfarrerbilder

Bisher versuchte ich die Tätigkeit Pfisterers anhand schriftlicher Quellen zu beschreiben, von denen uns leider viel zu wenig überliefert sind. Ein Großteil dieser Texte vermittelt uns allein eine Außenansicht von dem Pfarrer und Menschen Daniel Pfisterer. Diese Perspektive besitzt ihren eigenen Wert, ermöglicht jedoch kaum Einsichten in die Reflexion Pfisterers über sich selbst. Die einschlägigen Abbildungen und Texte seines Buches können hingegen als Medium verstanden werden, in dem sich Pfisterer spiegelte.

Ebenso wie bei einer Autobiographie liegt im Wert dieser Bilder zugleich auch ihre Grenze. Wer garantiert uns die Aufrichtigkeit und den unbestechlichen Blick Pfisterers auf sich selbst? Wer kann ausschließen, daß er seine Person zur Idealfigur stilisiert hat? Diese Fragen dürfen bei den folgenden Überlegungen nicht vergessen werden. Selbstreflektion bedeutet zuerst auch Selbstbeschreibung. Diese setzt – wie kaum anders zu erwarten – am Anfang des Pfistererschen Buches ein. Auf dem Titelblatt erscheint der ganze Titel des Köngener Pfarrers, der seinen selbstbewußten und zugleich selbstkritischen Anfang unterstreicht (Pf 2): “Was Gott und die Natur von selbst in Mich geleget, / Daran ergötz Ich Mich so lang sich etwas reget; / Wann aber altershalb die Sinne nichts mehr faßen, / Und das Gesicht vergeht, so muß Ichs bleiben Laßen.”

Selbstbewußtes Auftreten bestimmt auch die Präsentation der Wappen der Familien Pfisterer und Steeb, wobei Pfisterer über den ihm nicht zustehenden irdischen Adel hinaus gewissermaßen auf den göttlichen Adel verweist (Pf 4): “Eines Christen Adelstand kommet nicht von Eltern her, / Sondern er ist außerkohren, / Und gantz Göttlichen Geschlechts, wann Er schon ein Bettler wär, / Dann Er ist auß Gott geboren.”

Dann erst kommt der Köngener Pfarrer auf seine eigene Rolle zu sprechen. Er führt sein Porträt als Medaillon aus, das von einem grünen und einem verdorrten Zweig umgeben ist (Pf 5). In diesem Symbol des blühenden und sterbenden Lebens sieht man ihn als Halbfigur, die in Talar und Beffchen, die Amtskleidung des Geistlichen, gekleidet ist und vier Pinsel in der linken Hand sowie eine Schreibfeder in der rechten Hand hält. Vor ihm liegt ein aufgeschlagenes Buch, ein Schreibzeug, eine Palette sowie eine gelblich eingebundene Mappe. Sein Porträt interpretiert er mit einem lateinischen Text, der gleichsam der Schlüssel zum gesamten Buch ist. Denkbar ist, daß er durch die lateinische Ausführung diesen Schlüssel vielen Zeitgenossen vorenthalten wollte.

Folgen wir dem Text, so verstand sich Daniel Pfisterer als Autodidakt, doch keineswegs als Dilettant. Vielmehr rückt er sich selbst an die Seite der Meister mit Pinsel und Feder. Zudem weist er seinem Unternehmen einen pädagogischen Nutzen zu, der den Betrachtern zugute kommen soll: die Lust an den schönen Bildern dient mithin keinem Selbstzweck, sondern der Belehrung der Leserschaft.

Mit der Selbstbeschreibung Pfisterers ist untrennbar die Beschreibung seines Amtes als Pfarrer verbunden. Ganz selbstverständlich illustriert er die wichtigsten Aufgaben des Geistlichen, vor allem eingereiht in eine Bilderfolge über den “kindischen”, den “lernenden”, den “unzüchtigen”, den “frejenden”, den “verthunerischen”, den “arbeitenden”, den “desperienden”, den “leidenden”, den “kräncklichen” und den “sterbenden” Menschen (Pf 220–232). Seine Familie hingegen findet in den Bildern keine Berücksichtigung.

An den Anfang stellt Pfisterer den Gesang der Kinder in der Kirche. Er zeigt, wie eines der Kinder, zeitgemäß als Erwachsener gekleidet, auf die Noten deutet, die auf dem Lesepult liegen (Pf 89). Dabei stehen die Kinder vor dem Altar. Der mürrisch blickende Pfarrer lobt den Gesang, nicht ohne anhand der Spinne auf das abschreckende Beispiel der Erwachsenen zu verweisen, die weder von der Predigt noch vom Gesang in der Kirche Notiz nehmen. Thematisiert wird damit zugleich der sicher auch von Pfisterer häufig vor dem Kirchenkonvent verhandelte Kirchenschlaf: “Es ist kein Gotteshauß so leer, / Daß keine Spinne drinnen wär, / Die in der Predigt und gesang / Nur ist verpicht auf ihren fang. Die Vögel singen schön, schön klingen auch die saiten, / doch wollt vor allen sich Gott selbst ein Lob bereiten / Auß deren Kinder Mund, die noch ein reines Hertz / Besitzen ohne falsch, das steiget Himmelwerts.”

Im Zusammenhang mit den Stationen des Lebens läßt Pfisterer erstmals nicht nur im Text, sondern auch im Bild einen Geistlichen erscheinen. Es fällt auf, daß dies nicht im Zusammenhang der Taufe geschieht, was ja durchaus auch denkbar gewesen wäre. Pfisterer verzichtet darauf und zeigt statt dessen zwei junge Leute, die sich die Hände geben. Der Geistliche spricht mahnend auf das Paar ein, was mit dem Text “Der Frejende Mensch” (Pf 224) korrespondiert: “Nichts ist verschlageners als zwei verliebte Leüte, / Die lauren Tag und Nacht wie Füchs auf eine Beüte; / Des Tages brauchen sie die schönsten Complementen, / Des Nachtes Musicos mit Ihren Instrumenten; / Und was der Kupplerin schwer fällt in solchen dingen, / Das wißen sie mit List gar artig anzubringen.” Hier erscheint der Pfarrer wiederum als Vertreter des örtlichen Kirchenkonvents, der Aktivitäten wie das “Fensterln” oder die musikalischen Darbietungen unter dem Fenster der Angebeteten nur verurteilen konnte. Die Rolle des Pfarrers selbst wird in diesem Text nicht thematisiert.

Auch auf den folgenden Seiten begegnen wir dem Geistlichen nicht. Ähnliches gilt für den arbeitenden Menschen. Im Zusammenhang mit dem desperienden und leidenden Menschen finden sich zwar theologische Bewältigungsansätze für Leiden und Krankheit, doch dem Pfarrer ist in Bild und Text keine aktive Rolle zugewiesen. Das ändert sich bei der Schilderung von Krankheit und Sterben, die nach Ausweis dieser Bilder weithin öffentlich verliefen. So ist in der von ihm festgehaltenen Szene im Zimmer eines Todkranken (Pf 230) der Pfarrer zwar ebenfalls nicht zu sehen, doch stellt ihn der Text in eine Reihe mit den anderen Menschen, die um den Kranken bemüht waren: “Ein Mathematicus besieht das Firmament, / Ein Medicus im glaß deß Harnes sediment, / Und ein Theologus sieht auf den Lebens Lauff, / Daß er wann manns begehrt | im fall der noth | den Zuspruch richte drauf.” Gemeint ist hier der Theologe, der schon die Leichenpredigt mit dem Lebenslauf des Verstorbenen vorbereitet. Doch hatte der Pfarrer nicht allein für die Todkranken zu sorgen. Er hatte darüber hinaus auch spezifische Aufgaben in einem wahrhaft erschreckenden Umfeld zu erfüllen, wie es Pf 231 zeigt.

Der Geistliche steht hier an der Leiter, die zum Galgen führt. Dieses Bild zeigt die wichtigsten Hinrichtungsarten: das Rädern, den Scheiterhaufen, die Brandmarkung, das Hängen, das Stäupen mit der Rute, das Abhacken bestimmter Körperteile und das Enthaupten. Im Hintergrund ist ein aufgespießter Körper zu sehen und auf der rechten Seite unten die glühende Zange. Die hier beschriebene Todesstrafe war nichts anderes als eine öffentliche Strafaktion, die allen zeigen sollte, was ein Verbrechen war. Damals war man keineswegs an einer Besserung der Delinquenten interessiert, sondern zielte auf die Wiederherstellung des Rechts ab. Die Tat stand im Vordergrund, nicht der Täter. So waren damals Vollzugsanstalten, die einer Resozialisierung dienen sollten, völlig unbekannt.

Bei dem Aufbau des Bildes ist interessant, daß hier die seit dem späten 17. Jahrhundert vor allem noch praktizierte Enthauptung und das Erhängen im Vordergrund gezeigt werden. So ist dieses Bild ein Spiegel der Tatsache, daß Hinrichtungsarten wie Rädern, Vierteilen und Verbrennen zu Pfisterers Zeiten kaum noch vollzogen wurden. Bei Hinrichtungen war den Geistlichen eine eindeutige Aufgabe zugewiesen. Sie hatten zuerst den Delinquenten zum Eingeständnis seiner Schuld zu bringen. Ohne seine subjektive Überzeugung konnte der Maleficant „immer noch sein Bekenntnis widerrufen, ‘halsstarrig’ und verstockt werden, Richter und Henker verfluchen oder gar Selbstmord begehen”. Erst nach dem Schuldeingeständnis durfte das Urteil verkündet, der Stab über dem armen Sünder gebrochen und dieser selbst dem Scharfrichter übergeben werden. Schließlich stand Geistlichen, Zünften, aber auch Verwandten und Angehörigen immer noch das Recht zu, um Gnade zu bitten, was in großem Umfang zum Tragen kam.

Pfisterer teilte diese Auffassungen. Er unterstützte den Gedanken der Abschreckung ebenso wie das erwünschte Schuldeingeständnis der Malefikanten, wenn er zu diesem Schauspiel schrieb (Pf 231): “Das Schwert der Obrigkeit ist schröcklich nur den Bösen, / Den Frommen aber nicht. Warumb wird dann gelesen / Was fromme Märtyrer und protestanten waren, / Daß solche Tausendweiß das widrige erfahren? // Wann der Natürlich Todt so schröcklich ist zu Leiden, / Wie muß dem Sünder und Maleficanten seyn, / Dem alles fertig steht zu seiner straff und pein, / Den Lebens Faden Ihm so schmerzlich abzuschneiden? / Ach daß des Henckers Nam und das so strenge Recht / Das freche Höllen Kind zur Reüe bringen möcht, / Es würde diß mit Ernst und alles fleißes meiden!”

Ebenso öffentlich wie die Hinrichtungen verlief generell das Sterben in der Frühen Neuzeit. Wir sehen dies in der Sterbeszene (Pf 232), als der Pfarrer an das Bett des Sterbenden tritt, um ihm das letzte Abendmahl zu reichen. Im Gegensatz zum Bild der Hinrichtung gewinnt die Darstellung des Geistlichen perspektivisch an Größe. Die Familie ist um das Bett versammelt, und es wird bereits der Sarg hereingetragen. Auf dem Tisch sind der Hut des Geistlichen, die Dose mit den Oblaten, die Kanne mit dem Wein und der Abendmahlskelch zu erkennen. Pfisterers Position zum Tod ist eindeutig. So läßt er den Tod – dargestellt als Gerippe mit Pfeil und Sanduhr – sagen: “Ich tödte nur den Menschen schlecht / Hab an der Seele gar kein Recht! / Muß auch den Leib nach diesem Leben, / wann jenes angeht, wider geben”. Diesem setzt er entgegen: “Wer vor dem Todt erschrickt, den möchte mann ver=gleichen, / Mit einem, deme mann will Lohn und Zahlung reichen / Vor das was Er verdient; und sihet scheel darein / Daß Er anstat deß gelts bekommt ein Todtenbein. // Ein Christ erschricket nicht, er sieht mit glaubens blicken / Dem Todt nicht ins gesicht, wol aber in den Rücken / Und weiß daß dieser Ihm die Thür zum Leben sej / Drumb stirbet Er getrost und aller schrecken frej.”

Neben diesem mehr oder weniger direkten Eingehen auf das Amt des Theologen und Seelsorgers enthält Pfisterers Buch weitere Erwähnungen seines Standes. So werden auf Seite Pf 214 Haartracht und Kopfbedeckungen geistlicher Herren behandelt, die “müßen in die zeit sich schicken wie sie fällt”. Im Wechsel der Moden bleibt allein der Talar der Geistlichen in seiner ursprünglichen Art erhalten: “Der Kirchen Rock allein behält die alte Forme, / Die Ceremonien gehn nach der Neüen Norme.” Dieses Thema greift Pfisterer gleich mehrmals auf, so auch auf Seite Pf 200: “In diesem Röcklin gieng vor diesem ein Magister, / Ja als ein Pfarrer noch und Special zum theil; / Jetzt schämte sich darin ein Meßner oder Küster, / Der sich so kümmerlich nehrt von dem Glockensail.” Nochmals schlägt Pfisterer diesen Akkord auf Seite Pf 211 an: “Seht doch wie Zeit und Leut so wunderlich varieren / Und wie die Geistliche der Welt pracht imitieren!” Erinnern wir uns an den oben zitierten Konsistorialerlaß, den Pfisterer 1683 in das Hirschlandener Befehlbuch eintragen mußte, dann ist klar, daß die modischen Extravaganzen eine Angelegenheit von anhaltendem Interesse für die Zeitgenossen waren.

Über diese Gegenstände hinaus legt sich abschließend die Frage nach der Selbsteinschätzung Pfisterers als Theologe und Pfarrer nahe. Als primäre Äußerung zu dieser Frage muß der Text auf Seite Pf 131 gesehen werden, wo Pfisterer die drei im Reich zugelassenen Konfessionen mit einer Nuß vergleicht: “Die außer Schal bedeüt’ des Bapstes Lehr und Tand, / Das inner Haütle deß Calvini Rationes, / Der Luther aber gibt den Kern uns in die Hand.” Er versteht sich somit als Lutheraner, der klar und eindeutig Position bezieht ähnlich dem abgebildeten Theologen, der in der Hand das “Wort Gottes” hält. Im selben Moment konstatiert er den Streit zwischen den drei Konfessionen, indem er sagt: “Eher wird |geht| die Welt vergehn |dahin|, / Als Pabst Luther und Calvin / Einig werden mit dem Sinn.”

Er bleibt mit dieser Argumentation in den traditionellen Bahnen theologischen Denkens seiner Zeit. Dies gilt auch für die Darstellung der ewigen Welt, die zum einen den mit Engeln bevölkerten, sonnenbeschienenen und von Vater, Sohn und Heiligem Geist beherrschten Himmel aufweist, andererseits aber eine mit loderndem Feuer erfüllte Hölle zeigt, in der unheimliche Teufelsgestalten das Regiment führen. Konventionell ist auch der Gottesbeweis, den Pfisterer anhand der großartigen Erscheinungen des Himmels führt (Pf 163): “Komm her du Atheist und sih wie Gottes wesen / So deutlich an der Sonn und Sternen wird gelesen! / Kein stärcker Argument bringt die Natur nicht an / Daß außer Gottes wort dich uberzeugen kann.” Mit diesen Sätzen bleibt er letztlich seinem Prinzip treu, die Betrachter seines Buches zu wichtigen und nützlichen Einsichten zu führen.

Diese Aufgabe wollte Pfisterer keineswegs nur im Rahmen seines Buches verwirklichen. Auch die Köngener Kirche nutzte er zu diesem Zweck, denn er malte sie eigenhändig aus, wie er auch Sinnbilder anbrachte. Es liegt nahe, daß Pfisterer sie mit den in seinem Buch dargestellten Abbildungen der zwölf Apostel (Pf 241–243) ausgeschmückt hat. Vergegenwärtigt man sich die Emporen der Köngener Kirche in Pfisterers Buch (Pf 237), lassen sich dort die Umrisse der Apostel erkennen. Neben dieser Abbildung notierte Pfisterer: “Diese Kirche ist nach ihrem innerlichen / ansehen ao l72l abgezeichnet wor- / den, man hat aber in folgenden / 2 Jahren viel darinnen ver- / ändert und verbeßert.” Gerade die Verwendung des Begriffs “verbessert” macht eine Datierung der Ausmalungen Pfisterers nach 1721 höchst wahrscheinlich. Hinzu kommt, daß die Erwähnung von “Sinnsprüchen” verdeutlicht, daß das didaktische Moment des Buches auf den Kirchenraum übertragen werden sollte.

Am 16. September 1727 zeichnete Daniel Pfisterer sein letztes Bild (PF 264): die Weintrauben, die sich an einem Birnbaum emporranken und einen enormen Ertrag aufweisen: “An diesem stock der ein Gut Edel von gewächse, / Zeigt sich ein große Zahl dreihundert Neünzigsechse: / Von Traub= und Träublen die an einem Bierenbaum / Hinauff gewachsen sind. Mann glaubt es aber kaum. / Die Hand die dieses schreibt hat Ihne selbst berühret, / Und Ihn so proper, als es möglich, abcopieret.” Dies war kein geplanter Abschluß des Bilderreigens, sondern – wie so oft in diesem Buch – die Wiedergabe einer besonderen Naturerscheinung. In den letzten fünf Monaten seines Lebens malte der Köngener Pfarrer nicht mehr. Am 20. Februar 1728 hielt er noch eine Taufe. Am 10. März mußte der Köngener Vogt berichten: Es habe Gott gefallen, „den allhießigen Pfarrer: M. Daniel Pfisterer heut morgens umb 6 Uhr zue Sich in die Ewigkeit abzufordern“.

Resümierend bleibt zu bemerken, daß Daniel Pfisterer als Pfarrer und Theologe über das zu seiner Zeit Übliche nicht hinausragte. Er war ein guter Prediger und Seelsorger und lebte in seinem Beruf, doch war er alles andere als ein Neuerer. Keineswegs stellte er die Ordnungen seiner Zeit in Frage, versagte sich jedoch nicht die Kritik an Korruption, Geiz, Raffsucht, Spielleidenschaft, Geltungssucht und anderen negativen Zeiterscheinungen.

Außergewöhnlich an ihm ist jedoch die Gabe, die Welt genau zu beobachten und im Bild darzustellen. Dies verbindet sich für ihn stets mit einer pädagogischen Zielvorstellung. Dieser alte Mann – so stellt er sich selbst dar – will immer noch etwas bewirken, will seinen Mitmenschen Ratschläge in anschaulicher Art erteilen. Er tut dies in sicherem Rückgriff auf die Bibel, die ihm – wie die vielen Verweise auf Bibeltexte zeigen – ständig präsent war und seine Weltsicht bestimmte.

Viele Fragen zu Daniel Pfisterer bleiben gleichwohl unbeantwortet. Wir wissen nicht, woher er sein künstlerisches Talent erbte, und ob er es systematisch ausgebildet hat. Gleichfalls bleibt der Anlaß seines Buches im Dunkeln. Muß man es als Vermächtnis an seine Kinder verstehen? Wie kommt es, daß ein alter Mann mit 65 Jahren ein solches Werk beginnt? Warum hat er sich nicht schon früher künstlerisch geäußert?

Die letzte Frage läßt sich vielleicht am einfachsten beantworten. Wie wir gesehen haben, war Pfisterer in Hirschlanden wie auch in Botnang mit Arbeit überhäuft. Zum anderen werden jedoch die kriegerischen Ereignisse, die marodierenden Soldaten und Plünderungen dem Geistlichen kaum die Zeit und Muße gelassen haben, die er dazu benötigte. Erst in Köngen gestaltete sich seine persönliche Situation so, daß sie ein ruhiges Arbeiten erlaubte.



Pressestimmen


Stuttgarter Zeitung

»Nichts Menschliches war ihm fremd, kein Detail zu winzig, keine Absonderlichkeit zu lachhaft – der Pfarrer Daniel Pfisterer verzeichnete alles, was in seiner Umwelt vorkam. So entstand zwischen 1716 und 1727 ein einzigartiges Kompendium.«

Stuttgarter Nachrichten

»Die Entdeckung dieses Kompendiums erst vor ein paar Jahren war eine Sensation. Noch sensationeller ist, daß nun eine vollständige Faksimile-Ausgabe vorliegt«

FAZ-Magazin:

»Pfisterer veranschaulicht Leben und Sterben im achtzehnten Jahrhundert, vom Kinderzimmer bis zur Hinrichtungsstätte; er verrät in gemütvollen bis giftigen Sinnsprüchen viel von damaliger Bürgermentalität – und er hat ein wunderschönes Buch geschaffen.«